OLG Koblenz: Auf Nachforderung eingereichte Unterlagen können fristgerecht ausgetauscht werden!

 

Von Rechtsanwalt Oliver Hattig

 

Nachgeforderte und von ihm bereits vorgelegte Unterlagen kann ein Bieter innerhalb der gesetzten Frist zur Nachforderung zurückfordern bzw. neue Unterlagen einreichen. Die Vergabestelle muss die eingereichten Unterlagen so nach Datum, ggf. Reihenfolge der Einreichung kennzeichnen, dass jederzeit festgestellt werden kann, welche Unterlagen zu berücksichtigen sind. Steht die Reihenfolge der eingereichten Unterlagen fest, so ist die unzutreffende Mitteilung des mit der Durchführung des Verfahrens beauftragten Dritten - hier eines Architekturbüros - wonach die aktuelle Unterlage nicht feststellbar sei, was dann zum Ausschluss des Bieters führt, der Vergabestelle über § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zuzurechnen. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz im Urteil vom 7.5.2020 (1 U 772/19) entschieden.

 

In dem konkreten Fall begehrte die Klägerin von dem Auftraggeber Schadensersatz wegen des Ausschluss ihres Angebotes von einer öffentlichen Ausschreibung. Der Auftraggeber hatte Bauleistungen für die Erweiterung und den Umbau einer Kindertagesstätte öffentlich ausgeschrieben. Das mit der Verfahrensdurchführung betraute Architekturbüro forderte die Klägerin, die das niedrigste Angebot abgegeben hatte, nach Angebotsöffnung unter Fristsetzung auf, bestimmte Unterlagen sowie die Urkalkulation in einem verschlossenen Umschlag einzureichen. Die Klägerin gab sämtliche Unterlagen fristgerecht ab, teilte dann aber dem Architekturbüro telefonisch mit, sie habe einen Fehler bei der überreichten Urkalkulation gemacht: in den angebotenen Einheitspreisen habe sie einen Nachunternehmeranteil einkalkuliert, obwohl sie nicht auf Nachunternehmer zurückgreifen wolle. Die Klägerin bat daher um Austausch der eingereichten Urkalkulation.

 

Ein Bieter hatte einen Fehler in der nachgereichten Urkalkulation gemacht und wollte diese austauschen

 

Dem Architekturbüro gingen die neuen, korrigierten Dokumente noch vor Fristablauf zu und wurden, inklusive des mit der Aufschrift "Urkalkulation NICHT ÖFFNEN" versehenen, verschlossenen Umschlags, zu den Vergabeunterlagen genommen. Die beiden Umschläge mit der alten und neuen Urkalkulation wurden nicht beschriftet oder geöffnet, jedoch mit "1. Urkalkulation" und "2. Urkalkulation" gekennzeichnet. Der Auftraggeber schloss das Angebot der Klägerin von der Wertung aus und erteilte der Konkurrentin mit dem zweitniedrigsten Angebot den Zuschlag. Dagegen wehrte sich die Klägerin. Sie trug unter anderem vor, sie habe mit dem Architekturbüro telefonisch vereinbart, die fehlerhafte Urkalkulation austauschen zu können. Unstreitig war, dass die Klägerin - hätte sie den Auftrag aufgrund ihres Angebotes erhalten - einen Gewinn von 24.935,72,- € gemacht hätte. Diesen entgangenen Gewinn machte die Klägerin als Schadensersatz mit ihrer Klage geltend, da sie davon ausging, dass sie bei der rechtlich gebotenen Berücksichtigung ihres Angebotes den Zuschlag erhalten hätte. Das Landgericht gab der Klage statt, da der Auftraggeber die Klägerin zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen habe. Gegen das Urteil des Landgerichts wandte sich der Auftraggeber mit seiner Berufung.

"Bis zum Ablauf der Abgabefrist war die Kläger berechtigt, die fristgerecht eingereichten fehlerhaften Unterlagen zu korrigieren und auszutauschen!"

 

Ohne Erfolg. Das Landgericht habe zu Recht entschieden, entschied das OLG, dass der Klägerin ein Schaden in Höhe des entgangenen Gewinns zustehe, den der Auftraggeber ihr zu ersetzen habe, da er sie zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen hatte. Als Bieterin mit dem niedrigsten Angebot hätte der Klägerin stattdessen der Zuschlag erteilt werden müssen. Die Vorgehensweise der Klägerin im Ausschreibungsverfahren sei insgesamt zulässig und nicht zu beanstanden, so das OLG. Die Beklagte hätte die von der Klägerin eingereichten, insbesondere die nachgeforderten Unterlagen beachten müssen, rechtliche Hinderungsgründe hierfür hätten nicht bestanden. Sofern das Angebot nicht aus den Gründen des § 16 VOB/A ausgeschlossen werde, verlange der öffentliche Auftraggeber gemäß § 16a VOB/B die fehlenden Erklärungen und Nachweise nach; ein Ermessen bestehe insoweit nicht; die fristgerecht nachgereichten Unterlagen seien zu beachten. Bis zum Ablauf der Abgabefrist sei die Klägerin auch berechtigt gewesen, die fristgerecht eingereichten fehlerhaften Unterlagen zu korrigieren und auszutauschen.

 

"Raum für Missverständnisse oder Manipulationen bestand nicht!"

 

Für ein drittschädigendes (kollusives) Zusammenwirken zwischen der Klägerin und dem Architekturbüro zum Nachteil von anderen Bietern im Vergabeverfahren gebe es keine Anhaltspunkte: die erste eingereichte Urkalkulation sei nicht geöffnet worden und deren Inhalt war dem Auftraggeber nicht zur Kenntnis gelangt und habe die Vergabeentsheidung nicht beeinflussen können. Wäre der Klägerin beim Austausch die erste ungeöffnete Urkalkulation zurückgegeben worden, hätte das Architekturbüro nur über ein Exemplar verfügt, das den Vorgaben entsprochen hätte. Raum für Missverständnisse oder Manipulationen habe nicht bestanden, stellt das OLG klar. Auch nicht deswegen, weil das Architekturbüro beide Umschläge zu den Vergabeunterlagen genommen habe. Schließlich sei der Sperrvermerk "Urkalkulation NICHT ÖFFNEN" vergaberechtlich unbedenklich gewesen: Erkennbar habe die Klägerin damit zum Ausdruck bringen wollen, dass der Umschlag nicht sofort nach Übergabe, sondern erst, wenn die Urkalkulation relevant werden würde (bei Fragen der Abrechnung, Preisänderungen etc.). Sicher sei damit nicht gemeint gewesen, so das OLG, dass der Umschlag nie geöffnet werden solle, was keinen Sinn ergeben hätte.